Der Genmais und die Krebsratten: Warum wir endlich eine ehrliche Diskussion führen sollten

Das ist sie. DIE Studie. Die Untersuchung, die beweist, dass genetisch veränderte Pflanzen doch ein Gesundheitsrisiko darstellen. So oder so ähnlich dürften viele Leute gedacht haben, als am 19. September im Fachjournal „Food and Chemical Toxicology“ die Resultate einer Zwei-Jahres-Studie veröffentlicht wurden.

Die Ergebnisse der Forschergruppe um Gilles-Eric Séralini von der Universität Caen erregten weltweit Aufsehen: Ratten, die mit der genetisch veränderten Maissorte NK603 und dem Pflanzenschutzmittel Glyphosat gefüttert wurden, erkrankten häufiger an Tumoren und starben früher als andere Ratten. Gegner der Gentechnik sahen ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt.

Aber von Anfang an waren Wissenschaftler fast einhellig in ihrer Kritik:Die statistische Auswertung der Ergebnisse sei falsch, die Zahl der Versuchstiere (zehn je Gruppe und Geschlecht) zu klein, um zuverlässige Schlüsse zu ziehen. Außerdem fehlten die Angaben, was genau die Mäuse gefuttert hatten. Auch seien die Untersuchungen offenbar nicht verblindet durchgeführt worden, so dass die Forscher die Auswertung unbewusst beeinflusst haben könnten.

Tote Ratten, roter Hering

Tote Ratten, rote Heringe (auch tot). Foto: Pavel Ševela / Wikimedia Commons.

Dutzende Wissenschaftler verrissen die Studie öffentlich und kritisierten sie in Leserbriefen an das Journal. In Deutschland urteilten das Bundesinstitut für Risikobewertung und das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit im Oktober, die Schlussfolgerungen der Autoren seien durch die präsentierten Daten nicht gedeckt. Behörden in Frankreich, Italien, Dänemark und anderen Ländern kamen zu dem gleichen Schluss. Am Mittwoch hat nun die Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde Efsa ihre endgültige Bewertung der Studie vorgelegt: Design, Analyse und Bericht der Experimente seien „mangelhaft“, die Studie, so wie sie vorliege, „von unzureichender wissenschaftlicher Qualität“. Die Debatte sollte damit beendet sein.

„Rote Heringe“ nennen Briten Hinweise, die etwa ein Krimi-Autor einstreut, um den Leser auf die falsche Fährte zu locken. Der Ausdruck geht vermutlich auf stark riechende, geräucherte Fische zurück, mit denen der britische Journalist William Cobbett einst Hunde von der Fährte eines Hasen abgebracht haben will. Séralinis Studie ist so ein roter Hering. Sie lenkt gleich doppelt ab.

Einmal in Sachen Lebenssicherheit. Durch den Verzehr genetisch veränderter Pflanzen ist noch niemand gestorben, es sei denn, er ist am Maiskolben erstickt. Doch jedes Jahr sterben in der EU hunderte Menschen an Salmonellen, E.coli oder Campylobacter. Ihnen sollte die Aufmerksamkeit der Lebensmittelschützer gelten, denn hier können Krankheiten verhindert und Leben gerettet werden.

Und was genetisch veränderte Pflanzen angeht: Es gibt viele Gründe, dagegen zu sein. Man kann die Machtkonzentration großer Agrarkonzerne kritisch sehen, man kann sich fragen, welchen Vorteil der Verbraucher hat, oder „Genmais“ schlicht unappetitlich finden. Aber für eine gesundheitliche Gefährdung des Menschen gibt es nach Jahren der Forschung und tausenden Experimenten kaum Hinweise. Solange Gentechnikgegner jedoch bei jeder Chance mit diesem roten Hering wedeln, liegt die Vermutung nahe, dass sie lieber eine falsche Fährte legen, als eine ehrliche Diskussion zu führen.