Ein verzweifelter Heilversuch des Heidelberger Arztes Franz Schaefer könnte helfen, die Todesserie bei EHEC-Patienten zu stoppen

Irgendwann wusste der Heidelberger Nierenspezialist Franz Schaefer nicht mehr weiter. Ein junges Mädchen war in das Klinikum eingeliefert worden. Es hatte sich mit dem EHEC-Erreger O157 infiziert und das hämolytisch-urämische Syndrom (HUS) entwickelt, die gefährlichste Komplikation einer solchen Infektion. Die Mediziner hatten kaum Optionen: Antibiotika werden HUS-Patienten nicht gegeben. Denn die Ursache des Syndroms ist ein Gift, das die Bakterien freisetzen. Antibiotika würden die Bakterien zerstören, die randvoll mit dem Gift gefüllt sind, und die Situation verschlimmern. Die einzige Behandlung: Plasmaaustausch. Dabei werden die Zellen im Blut vom flüssigen Bestandteil, dem Plasma getrennt und das Plasma, in dem das Gift schwimmt, dann durch gespendetes Blut ersetzt.

Franz Schaefer eculizumab EHEC

Franz Schaefer

Aber auch nach mehrmaligem Plasmaaustausch verschlechterte sich der Zustand des Mädchens immer weiter. Der Erreger begann auch das Gehirn anzugreifen, eine seltene, aber dramatische Wendung. „Sie entwickelte Sprachfindungsstörungen, litt unter Krämpfen und einer Lähmung und fiel dann schließlich ins Koma“, erinnert sich Professor Schaefer.

Er entschloss sich zu einem ungewöhnlichen Schritt. Er gab dem Mädchen ein neues Medikament, Eculizumab, das seit 2007 für eine andere Erkrankung zugelassen war. Eculizumab hemmt einen bestimmten Teil des menschlichen Immunsystems, der normalerweise dafür da ist, Zellen, die als Eindringlinge markiert worden sind, zu zerstören. Bei einigen Menschen ist dieses System zu aktiv, es greift auch die eigenen Zellen an und die Patienten entwickeln Symptome, die denen des HUS-Syndroms bei einer EHEC–Infektion sehr ähnlich sind. Ärzte sprechen von einer atypischen HUS-Infektion. Studien hatten vor kurzem gezeigt, dass Eculizumab diesen Patienten hilft und so entschied sich Schaefer, mit dem Rücken zur Wand, das Medikament auszutesten.

Das Ergebnis war besser als er zu hoffen gewagt hatte: „Innerhalb von 24 Stunden verbesserte sich ihr Zustand enorm“, sagt Schaefer. Nach einigen Tagen war sie wieder gesund.

All das passierte im vergangenen Herbst, aber jetzt könnte es mitten in einem der schlimmsten EHEC-Ausbrüche in der Geschichte helfen, Leben zu retten. Annähernd 300 Menschen haben bereits das gefährliche HUS-Syndrom entwickelt, mindestens neun Menschen sind gestorben. Und just in dem Moment erscheint Schaefers Fallbericht.

Schaefer hatte seinen Fall zusammen mit zwei Ärzteteams aus Montreal und Paris, die dieselbe Erfahrung gemacht hatten, aufgeschrieben und an das angesehene „New England Journal of Medicine“ geschickt. Vor 14 Tagen wurde der Brief zur Veröffentlichung angenommen. Einige Tage später begannen in Deutschland massenhaft EHEC-Fälle aufzutreten. „Ich konnte es nicht glauben“, sagt Schaefer. „Normalerweise sind solche Patienten sehr selten und plötzlich gab es Dutzende.“ Er drängte das Magazin, sofort zu veröffentlichen und schrieb seine Fachkollegen an. Denn Schaefer hofft nun, eine neue Waffe entdeckt zu haben im Kampf Mensch gegen Mikrobe, der in deutschen Kliniken tobt. „Ich würde das zwar nicht als erstes Mittel einsetzen“, sagt Schaefer. „Aber bei den ganz schlimmen Fällen hat man nichts zu verlieren.“

Die bedrängten Ärzte in den Kliniken sehen das genauso. Zahlreiche Ärzte haben bereits begonnen, Patienten mit dem neuen Medikament zu behandeln. Sie hoffen, dass Schaefers Entdeckung gerade rechtzeitig kommt, um Leben zu retten. „Ich glaube, dass das ein wichtiger Ansatzpunkt ist“, sagt Andreas Kribben, Leiter der Nierenheilkunde am Universitätsklinikum Essen. „Wir haben hier sieben HUS-Patienten und zwei davon behandeln wir jetzt mit Eculizumab.“ Noch am Montag will die Deutsche Gesellschaft für Nephrologie neue Richtlinien herausgeben, nach denen das Medikament bei besonders schweren Fällen als letztes Mittel gegeben werden sollte.

Das Vorgehen ist nicht ohne Risiken. Um das Medikament zu geben, muss der Plasmaaustausch gestoppt werden. Sonst würde das Medikament wieder aus dem Blut herausgefiltert. „Wir wissen aber nicht, ob das neue Medikament überhaupt hilft“, sagt Jens Nürnberger, Nephrologe in Schwerin. Die Einzelfälle, die in der Veröffentlichung beschrieben sind, ersetzen keine medizinische Studie. „Das Mädchen könnte ja auch zufällig dann gesund geworden sein“, sagt Nürnberger.

Hinzu kommt, dass das Medikament teuer ist. „Da ist man für einen Patienten schnell bei 20 000 Euro“, sagt Nürnberger. Und weil es sich nicht um eine zugelassene Therapie handele, müssten die Krankenkassen das nicht erstatten. „Wir haben trotzdem die volle Unterstützung unserer Klinik“, sagt Ulf Panzer, Nephrologe am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.