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Die lebende Fabrik

Wachs, Farben, Kunststoffe: Fast alles wird heute aus Erdöl und Erdgas hergestellt. Biologen wollen nun Zellen zu Fabriken machen.

Harnstoff ist keine sonderlich spannende Substanz. Aber als Friedrich Wöhler 1828 in Berlin den farblosen, geruchlosen Stoff im Reagenzglas herstellte, war das eine Sensation. Denn bis dahin wurde Harnstoff nur von Leber und Niere hergestellt. Chemiker glaubten an eine klare Trennung von lebender und toter Materie. Den „lebendigen“ organischen Harnstoff aus den toten Substanzen Kaliumcyanat und Ammoniumsulfat herzustellen, wie Wöhler das tat, galt als unmöglich.

Nach Wöhler begannen Forscher zahlreiche organische Moleküle in Kolben und Gläsern zu synthetisieren. 1854 stellte der Franzose Marcellin Berthelot aus Gylcerol und Stearinsäure das natürlich vorkommende Fett Tristearin her und er ging noch einen Schritt weiter: Indem er andere Fettsäuren nutzte, die in natürlichen Fetten nicht vorkamen, konnte er ganz neue Substanzen herstellen, die den natürlichen Fetten ähnelten, so aber nicht in der Natur vorkamen.

Wendell Lim von der Universität von Kalifornien in San Francisco erinnert gern an diese Anfänge der organischen Chemie. Deren Produkte sind heute allgegenwärtig. Lim glaubt, der Biologie stehe eine ganz ähnliche Entwicklung bevor. „In den nächsten Jahrzehnten werden wir in der Biologie vermutlich eine vergleichbare Revolution sehen“, sagt Lim. Tatsächlich macht die Synthetische Biologie es schon jetzt möglich, manche Chemikalien in Mikroorganismen herzustellen. Auch hier sind die ersten Erfolge die des Kopierens.

Im kleinen kalifornischen Ort Emeryville, nicht weit von den Animationsstudios von Pixar entfernt, erhebt sich eine lange Glasfassade an der Straße. Hier sitzt das Unternehmen Amyris. Für das junge Feld der Synthetischen Biologie ist es die Vorzeigefirma, die Erfolgsgeschichte, die beweisen soll, was möglich ist.

Der Biologe Jay Keasling, Professor an der Universität Berkeley, gründete die Firma 2003 gemeinsam mit anderen Forschern. Ihre Idee: Das Malaria-Medikament Artemisinin von Hefezellen herstellen zu lassen. Bisher muss die Substanz mühsam aus Pflanzen gewonnen werden. Aus einem Kilogramm getrockneten Blättern des einjährigen Beifuß lassen sich etwa 8 Gramm Artemisinin gewinnen.

Die Gates-Stiftung unterstützte das Start-Up-Unternehmen mit mehr als 40 Millionen Dollar. Der Einfluss könnte enorm sein: Mehr als eine Million Menschen sterben jedes Jahr an Malaria und immer mehr Erreger sind gegen viele Medikamente resistent. Weil Artemisinin auch gegen diese lästigen Einzeller wirksam ist, hat die Weltgesundheitsorganisation es 2000 zur ersten Verteidigungslinie gegen die Krankheit erhoben. Weil es aber 14 Monate vom Samen der Pflanze zum fertigen Medikament dauert, kommt es immer wieder zu Schwankungen in der Verfügbarkeit – und im Preis.

Nun haben die Forscher von Amyris die entscheidenden Gene aus der Pflanze in Hefezellen kopiert und die Zellen so zu kleinen Artemisininfabriken umfunktioniert. Aber auch das Kopieren ist keineswegs einfach. „Es ging nicht einfach darum, eine Zelle dazu zu bringen, ein Gen häufiger abzulesen. Wir haben einen kompletten Produktionsweg in diese Zellen eingefügt“, sagt Neil Renninger, einer der Gründer des Unternehmens. Tatsächlich sind die Hefen wie eine Produktionsstraße immer weiter optimiert worden. Im Grunde sind Zellen voll mit solchen Produktionsstraßen: Die Gene im Zellkern sind Bauanleitungen für Eiweiße und jedes Eiweiß macht in der Zelle einen bestimmten Handlungsschritt wie ein Arbeiter am Fließband, verwandelt ein Molekül in ein anderes.

Zunächst mussten die neuen Gene eingefügt werden, sodass die Zelle überhaupt die gewünschte Artemisinsäure (Vorläufer des Artemisinins) herstellt. „Dann mussten wir andere Gene so verändern, dass die Zelle alle nicht lebensnotwendigen Ressourcen in die Produktion dieser Chemikalie steckt“, erklärt Renninger. Gene wurden verstärkt oder gleich verdoppelt, Seitenzweige wurden gekappt und die Aktivität der einzelnen Eiweiße so auf einander abgestimmt, dass es zwischendurch nicht zu einem Stau kommt. Denn würde sich ein Zwischenprodukt ansammeln, könnte das giftig für die Zelle sein oder die Produktion durcheinanderwirbeln. „Das Ergebnis ist eine Zelle, die auf genau eine Sache getrimmt ist: Artemisininsäure herzustellen.“

Inzwischen hat das Pharmaunternehmen Sanofi das Projekt übernommen und will 2012 die industrielle Produktion beginnen. „Wir erwarten für das nächste Jahr wieder einen Engpass von Artemisinin. Darum ist es unser Ziel, so schnell wie möglich auf den Markt zu kommen“, sagt Laurence Goldenberg, Biologin bei Sanofi.

Artemisinin ist das liebste Beispiel für Fans der Synthetischen Biologie. Aber es gibt zahlreiche ähnliche Projekte. Der nächste große Erfolg könnten Treibstoffe sein. „Aus diesem Bereich werden in den nächsten Jahren sicher die ersten Anwendungen kommen“, sagt der Basler Forscher Martin Fussenegger. Industrie und Regierung sehen das offenbar genauso. 300 Millionen Dollar hat das US-Energie-Ministerium 2009 und 2010 jeweils in die Synthetische Biologie investiert. ExxonMobil unterstützt die Forschung von Biotech-Entrepreneur Craig Venter mit 600 Millionen Dollar und in dem Feld tummeln sich zahlreiche kleine Firmen.

Die Firma Gevo etwa ist angetreten, mit Mikroorganismen Isobutanol aus Zucker herzustellen. Dafür nutzen die Forscher die Moleküle, die eigentlich zur Herstellung von Aminosäuren dienen. „Wenn Sie eines der Zwischenprodukte nehmen und noch zwei Schritte machen, dann haben Sie statt der Aminosäure Valin Isobutanol“, erklärt Frances Arnold, eine der Gründerinnen der Firma. Der Alkohol ist als Treibstoff besser geeignet als Ethanol.

Auch Amyris arbeitet im Bereich Biodiesel. Forscher der Firma brachten die Hefezellen dazu, statt Artemisininsäure Farnesen herzustellen, ein längliches Molekül aus 15 Kohlenstoffatomen. „Das hat uns nur eine Woche Arbeit gekostet“, sagt Renninger stolz. Denn die Herstellung der beiden Stoffe in der Zelle unterscheidet sich nur in den letzten Schritten.

Wird Farnesen mit Wasserstoff gesättigt, entsteht ein Molekül, das sich als Biodiesel eignet. Aber bis die Substanz mit dem Preis von Diesel mithalten kann, ist es noch ein weiter Weg. „Unsere Forscher raufen sich ohnehin die Haare, wir stellen diese tolle Chemikalie her und dann sättigen wir sie einfach mit Wasserstoffatomen, um sie zu verbrennen“, sagt Renninger. Das Molekül kann auch zu Schmierstoffen und Hautcremes weiter verarbeitet werden – und die sind mehr wert. Sechs bis neun Millionen Liter Farnesen will Amyris schon dieses Jahr produzieren. Gevo und andere Firmen verlagern ihren Schwerpunkt ebenfalls vom Treibstoff auf Chemikalien.

Auch andere Produkte der Petrochemie wollen Forscher ersetzen. Tausende Stoffe werden heute aus Erdöl oder Erdgas hergestellt: Kleber, Kunststoffe, Industriegase, Farben, Schmiermittel, Wachs für Kerzen und Schuhcreme, Schwefelverbindungen in Feuerwerkskörpern oder Autoreifen. „Denken Sie einmal daran, was das mit sich bringt: giftige Abfallprodukte, Umweltverschmutzung, der Golf von Mexiko. Das ist ein chemischer Albtraum“, sagt George Church, Forscher am Massachusetts Institute of Technology. Er sieht Mikroorganismen als die Lösung an: „Man benötigt keine hohen Temperaturen, keine seltenen Elemente.“ Bakterien ernten statt Gas und Öl zu verfeuern. „Da bietet sich die Chance, eine ganz neue Industrie aufzubauen“, glaubt auch Arnold. „Eine dieser Firmen könnte das nächste Exxon werden.“

Church geht noch weiter. „Warum sollen wir nicht auch das hier in Zellen herstellen?“, fragt er und hebt sein Handy hoch. „Ich würde sagen, es gibt nichts, das wir zurzeit produzieren, das nicht auch von der Natur hergestellt werden könnte.“ Einen Preis hat Church auch schon ausgerechnet: „Alles sollte 0,2 Dollar pro Kilogramm kosten“, sagt er. „Für diesen Preis können Sie schließlich auch Holz machen und das ist ein ungemein kunstvolles Naturprodukt.“ Noch klingt das allerdings nach Wunschdenken. So wie vor 200 Jahren die Idee, Harnstoff aus toter Materie herzustellen.

In der nächsten Folge geht es um Künstler, die sich mit der Synthetischen Biologie beschäftigen.